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Klimawandel

Montag, 20.07.2020

Klimakatastrophe in Sibirien

Kaum erklärbare Hitzewelle

Seit Januar ist es in Sibirien fünf bis sieben Grad wärmer als im Durchschnitt. Die lange Andauer der unüblichen Wärme macht Forscher ratlos, denn der Klimawandel allein reicht kaum als Erklärung aus.

Verheerende Waldbrände wüten in Russland das zweite Jahr in Folge. Bild: dpa

Bereits im vergangenen Jahr führten Hitzewellen rund um den Polarkreis zu Waldbränden und starkem Tauen des Permafrostes. Doch dieses Jahr zeichnet sich ein noch verheerenderes Bild ab. Seit Januar wird in Russland ein Rekord nach dem anderen gebrochen. Vorläufiger Höhepunkt waren tropische 38 Grad am 20. Juni in Werchojansk nördlich des Polarkreises. Dies ist über das Jahr gesehen eigentlich einer der kältesten Orte der Erde. Neue riesige Waldbrände und tauender Permafrost veranlassten Präsident Putin im Juni zum Ausrufen des Notstandes.

Die Temperaturabweichungen von Januar bis Juni lagen in weiten Teilen Sibiriens bei über sechs Grad über dem Mittel 1981-2010. Bild: worldweatherattribution.org

In Sibirien lagen die Durchschnittstemperaturen zwischen Januar und Juni dieses Jahres um fünf Grad über den Mitteltemperaturen, regional sogar über sieben Grad. Jetzt hat eine Gruppe europäischer Wissenschaftler der World Weather Attribution eine Studie dazu veröffentlicht. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Rekordtemperaturen in einer Welt ohne anthropogenen Klimawandel nur etwa alle 80.000 Jahre auftreten würden. Die derzeitige Erwärmung Sibiriens ist sogar so extrem, dass es selbst mit Klimawandel statistisch nur alle 130 Jahre dazu käme.

Es ist zwar schon lange bekannt, dass sich durch den Klimawandel die Arktis etwa doppelt so schnell erwärmt wie der Rest des Planeten - seit 1850 etwa um zwei Grad. Die jetzige anhaltende Wetteranomalie stellt Forscher allerdings vor Rätsel. "Wir verstehen nicht, was in Sibirien gerade passiert. Das ist ein neues Phänomen", erklärte der renommierte deutsche Klimaforscher Anders Levermann vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Vermutet wird ein Zusammenhang mit dem starken Tauen des arktischen Meereises und mit der grossräumigen Luftströmung rund um den Nordpol. Wenn weniger Meereis vorhanden ist, wird auch weniger Sonnenlicht reflektiert, wodurch sich das Meer stärker aufheizt. Dies verlangsamt den Jetstream - den "Wettermotor" rund um den Nordpol. Dadurch bleibt vereinfacht gesagt länger das gleiche Wetter am gleichen Ort. Dies allein kann aber die jetzt beobachteten Extreme nicht erklären.  Die genauen Zusammenhänge müssen nun erforscht werden.

Besonders bedenklich ist die Selbstverstärkung (Teufelskreislauf) der jetzigen Prozesse. Nicht nur das Verschwinden des Eises, auch das Auftauen des Permafrostes führt zu einer zusätzlichen Erwärmung. Denn dabei wird das hochwirksame Klimagas Methan frei. Hinzu kommen vermehrte Lecks an Öl- und Gasleitungen, die sich beim Absacken des zuvor dauerhaft gefrorenen Bodens ergeben. Erst kürzlich sind dabei 21.000 Tonnen Diesel in einen Fluss gelaufen. Und durch die sibirischen Waldbrände entwichen allein im Juni 56 Megatonnen CO2 in die Atmosphäre.

Möglich, dass hier bereits eine Spirale in Gang gekommen ist, die nicht mehr aufzuhalten ist. Solche Stellen im Klimasystem werden Kipppunkte genannt. Werden sie überschritten, ist wie beim Domino die Kette fallender Steine dann nicht mehr zu stoppen. Eine dauerhafte Erwärmung in Sibirien hat daher nicht nur katastrophale Folgen für Natur und Mensch vor Ort, sondern heizt den weltweiten Klimawandel zusätzlich an.

Die Informationen dieses Beitrags basieren auf einer Veröffentlichung der World Weather Attribution und des Bayerischen Rundfunks.

(Ein Bericht von Denis Möller aus der WetterOnline-Redaktion)

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