Klimawandel
Antarktiseis-Rätsel gelöst
Grund für Zunahme ist erforscht
Es war bisher einer der grossen Widersprüche der Klimaforschung: Obwohl sich die globale Temperatur nachweislich erhöht hat, die Gletscher in den meisten Gebirgsregionen schmelzen und das Arktiseis immer weiter schrumpft, nimmt die Eisfläche im Südpolarmeer Jahr für Jahr weiter zu. Im letzten Jahr gab es sogar einen neuen Positivrekord beim antarktischen Meereis, während gleichzeitig im Nordpolarmeer ein Negativrekord verzeichnet wurde. Der Grund für diese Gegensätze war bislang unbekannt - jetzt ist das Rätsel wahrscheinlich gelöst worden.
2012 Rekord beim Antarktiseis
Messungen eines Antarktis-Forscherteams des niederländischen Wetterdienstes KNMI haben ergeben, dass sich das Meerwasser vor der antarkischen Küste nachweislich erwärmt hat. Die Folge ist, dass die ins Meer fliessenden Gletscher mehr Eisberge "kalben" und schneller abschmelzen. Dadurch gelangen grössere Mengen Eisberge und viel Treibeis ins Meer - zusammen mit einer enormen Menge Schmelzwasser mit einem sehr geringen Salzgehalt. An dieser Stelle beginnt die Auflösung des Paradoxons.
Das salzarme, kalte Schmelzwasser ist leichter als das salzhaltige Meerwasser und "schwimmt" deswegen wie eine isolierende Decke mit einer Mächtigkeit von 50 bis 200 Metern auf dem salzhaltigen Meerwasser. Je geringer der Salzgehalt von Wasser ist, desto schneller gefriert es: Daher bildet sich derzeit im Südpolarmeer bei Frostwetter relativ schnell neues Eis. Ausserdem kühlt das salzarme Oberflächenwasser im antarktischen Winter viel schneller aus - noch mehr Eisbildung ist die Folge, der Abkühlungseffekt verstärkt sich.
Schema des antarktischen Abkühlungseffekts
Dass in grossen Mengen ins Meer fliessendes Schmelzwasser erhebliche Auswirkungen auf das Klima haben kann, ist nicht neu. Auch im Nordatlantik hat es während der letzten Kaltzeit mehrfach ähnliche Ereignisse gegeben. Die nach seinem Entdecker getauften "Heinrich-Ereignisse" waren rasante Klimaschwankungen, die oft innerhalb von wenigen Jahrzehnten passierten. Durch gewaltige Schmelzwassermengen der Eiszeitgletscher bildete sich eine kalte Süsswasserschicht, die den Golfstrom abwürgte - radikale Kälteeinbrüche waren die Folge.
Empfindliches globales Netz von Meeresströmungen
Den "Heinrich-Ereignissen" ging übrigens stets eine kontinuierliche Erwärmung über mehrere Jahrhunderte voraus, die das Schmelzen der Eiszeitgletscher erst ermöglichte - die bekannten "Dansgaard-Oeschger-Ereignisse". Die Parallelen zur heutigen Zeit sind frappierend: Seit 1850 hat sich das Klima ebenfalls signifikant erwärmt, was auf der ganzen Welt zu einer starken Gletscherschmelze geführt hat. Dennoch steht uns in den kommenden Jahren wohl kein neuer Kälteschock bevor - Anzeichen für einen kollabierenden Golfstrom gibt es derzeit nicht.